Kein Gespräch am Arbeitsmarkt kommt derzeit ohne den Begriff Work-Life-Balance aus. Sogar Berufseinsteiger, die noch nie erwerbstätig waren und meistens auch keine Familie haben, sprechen das Thema im Bewerbungsgespräch an.
Aber was ist der wirkliche Auslöser für diesen Wunsch? Sind alle nur Mitläufer einer Generationenbewegung? Fehlt die Arbeitsmoral? Sind die Bewerber finanziell alle so gesättigt, dass Sie keinen monetären Bedarf haben zu arbeiten (Stichwort Erbengeneration)?
Was hinter diesem Phänomen steckt, haben wir in unserer Vistage CEO Peer Gruppe diskutiert, Erfahrungen und Meinungen ausgetauscht und versucht einen „best way“ zu definieren.
Bleiben wir doch erst einmal beim Begriff Work-Life-Balance. Denn der Begriff geht von einer falschen Prämisse aus, nämlich dass man Arbeit und Leben voneinander trennen kann. Das funktioniert einfach deswegen nicht, weil das Arbeits-Ich und das private Ich nun mal ein und dieselbe Person sind. Es geht aber im Grunde auch gar nicht um die Balance zwischen Arbeit und Leben, es geht in Wirklichkeit um einen guten Lebensrhythmus und ein gesundes Maß zwischen Arbeit, Familie, Freunden, körperlicher Bewegung und Muße, wahrscheinlich bei den meisten genau in dieser Reihenfolge
Um die jüngere Generation zu gewinnen, taucht das Wort aber trotzdem immer häufiger in Stelleninseraten auf, in Verbindung mit flexiblen Arbeitszeiten, Home-Office oder gleich der Möglichkeit eines späteren Sabbaticals. „Life“ wird dabei so sehr betont, dass man den Eindruck bekommt, die Inserierenden möchten am liebsten verschweigen, dass sie jemanden für „Work“ suchen 😱.
Arbeit hat eindeutig an Stellenwert gegenüber der Freizeit verloren. Das sieht man an den Diskussionen über eine 4 Tage Woche oder den Demonstrationen in Frankreich bzgl. der Erhöhung des Rentenalters. Kleine Randnotiz, Untersuchungen haben ergeben, dass frisch Pensionierte zu einem nicht unerheblichen Teil in Depressionen verfallen, weil sie keine Aufgabe mehr haben und daher liebend gerne einer Tätigkeit nachgehen würden, zumindest in Teilzeit 😉.
Historisch gesehen geht der Begriff „Freizeit“ auf das 19. Jahrhundert zurück, als die Arbeiter noch 12 und mehr Stunden / Tag arbeiteten, 6 Tage die Woche, und das unter ganz anderen Bedingungen als heute. Diese Arbeiter verbrauchten sich körperlich und brauchten wirklich Erholung.
Erstaunlicherweise wurde mit wachsendem Wohlstand und weniger Arbeitszeit, die Freizeit aber immer wichtiger. Heute haben wir den Begriff des Freizeitstresses, nicht zuletzt ausgelöst durch die permanente private Erreichbarkeit dank Social Media und die daraus geschuldete FOMO (Fear of missing out). Man könnten jetzt zur Empfehlung kommen, mehr Engagement im Job und mehr Arbeit reduziert den Freizeitstress, aber das ist zu kurz gedacht.
Laut einer Umfrage von Xing im Jahr 2022 haben während der Pandemie ein Viertel der Berufstätigen in Deutschland die Stelle gewechselt. Rund 29 Prozent begründeten dies mit dem Wunsch nach einer besseren Work-Life-Balance
Sind wir doch ehrlich, wir tragen die Geschichten von der Arbeit nun mal nach Hause. Wir erzählen von unseren Erlebnissen, von Highlights mit Kunden und Lowlights mit Kollegen, einem erfolgreichen Projekt oder einer erfolglosen Diskussion mit dem Chef über mehr Gehalt. Wir streifen die Arbeit nicht an der Haustüre ab wie einen Regenmantel.
Und beim Morgenkaffee im Büro denken wir genauso an den vorigen, privaten Abend zurück und erzählen von einem guten Fest, tollen Gesprächen mit Freunden oder einen romantischen Abend mit dem Partner/Partnerin.
Nur beschweren wir uns über diese privaten Erinnerungen während der Arbeit weniger als über die Arbeit, die wir gedanklich mit nach Hause nehmen. Wenn wir während der Arbeitszeit mal einen privaten Einkauf machen, ist das ok, wenn wir aber noch einen Call nach 18:00 Uhr habe nicht?
Wie halten Sie es mit dem kurzen Check der Mails nach Feierabend, am Wochenende oder im Urlaub? Oder den Business Report in der „Freizeit“ lesen? Gute und geliebte Angewohnheit? Oder Belastung? Oder sind Sie prinzipiell überhaupt nicht erreichbar?
Wir waren uns in unserer Diskussion schnell darüber einig, dass Arbeit ein wichtiger Teil unseres Selbstverständnisses ist. Wir bringen unsere Talente und unseren Willen etwas zu bewegen ein, erfahren Wertschätzung und das nicht nur als Arbeitnehmer, sondern als Person. Arbeit kann erfüllend sein, wenn es die richtige ist (siehe dazu auch meinen Newsletter: Arbeiten Sie bei einem miserablen Arbeitgeber? )
Außerdem war es für uns common sense, dass sich in Zukunft die Arbeitswelt vom Privaten immer weniger trennen lässt.
Uns hat der Begriff „Work-Leisure Integration“ daher deutlich besser gefallen.
Er spiegelt wider, dass wir versuchen müssen, die beiden Lebensbereiche Arbeit und Freizeit in Einklang zu bringen. Wir werden in Zeiten von Hybrid Working Models, Arbeitskräftemangel und Aufhebung der Zeitgrenzen durch die Globalisierung eine immer stärkere Verwischung der Grenzen zwischen Arbeit und Private Life haben, dies gilt es zu harmonisieren.
Die Empfehlung geht an die 29%, die wegen W/L Balance ihren Job gewechselt haben und auch an alle, die die Arbeit so belastet, dass sie gefühlt eine schlechte W/L Balance haben. Bitte überlegt euch zuerst einmal, ob ihr zu eurem Arbeitgeber passt und euer Arbeitgeber zu euch. Teilt ihr die gleichen Werte, das gleiche Warum. Eine sinnvolle Arbeit in einem Unternehmen dessen Warum man teilt kann sehr erfüllend sein! Und wenn ihr einen neuen Job beginnt, dann macht euch klar, ob die Vision, die Kultur, die Werte und das Warum des neuen Unternehmens das widerspiegelt, was zu euch passt um eine perfekte Work-Leisure Integration hinzubekommen. Das gleiche gilt auch für uns als Arbeitgeber, denn nur wenn ich inspirierte Mitarbeiter habe, die von meiner Unternehmensvision und meinem Warum überzeugt sind, werde ich ein Top performendes Team habe, dass sich über Erfolg definiert und nicht über W/L-Balance.